Pride month 2022: mein asiatisches coming-out

Jetzt ist der Pride Month 2022 schon bald wieder Geschichte und was wird uns davon in Erinnerung bleiben? Nach zwei ewigen Pandemiejahren war es fast wie in der Zeit vor Corona, die Paraden und Party Trucks fuhren durch sämtliche Städte und Menschen konnten ausgelassen ihre Individualität feiern. Andererseits wurde die ganze Partyfreude auch vom Attentat in Oslo überschattet, wo ein Täter in einem Gayclub wahllos um sich geschossen hat. Unter den Opfern befinden sich leider auch Menschen, die mit ihrem Leben bezahlen mussten. Und auf der Pride in Istanbul wurden hunderte Menschen für’s Herumstehen verhaftet, darunter auch zahlreiche Touristen.

Das hat mich sehr nachdenklich gestimmt, denn es gibt ein Thema, das ich bislang nicht an die große Glocke gehangen habe. Ich war aber auch darüber unschlüssig, ob ich „es“ in die Welt hinaustragen soll. Es ist ein sehr privates, sehr intimes Thema, das Leute womöglich gar nicht interessiert. Oder es ist ein Thema, das vielleicht seine Kreise ziehen kann, wo ich dann aber keine Kontrolle mehr über dessen Verbreitung habe.

Photo by Lisa on Pexels.com

Die Rede ist von meinem Coming Out in 2020. Glaubt mir, ich habe viel recherchiert. Das Internet ist voll von Coming Out Stories von jungen Menschen, egal ob Mann, Frau, non-binary, gender fluid, trans oder diverse. Braucht es da noch meine? Ist das Thema, vor allem während des Pride Months, nicht ohnehin schon so ausgeschlachtet, dass es schon wieder nervig sein könnte – vor allem für Menschen außerhalb der LGBTIQ+ Community? Hören die Menschen in dieser Zeit nicht genug von queeren Events, Akzeptanz, homophoben Hassverbrechen und anderen Negativschlagzeilen?

Ja und Nein. Ja, weil, wie gerade erwähnt, es gibt schon sehr viele Coming Out Stories im Netz. Und nein, es gibt tatsächlich nicht so viele Coming Out Stories von bisexuellen Männern, wie mir.

IF I COULD TURN BACK TIME

Ich möchte nicht zu weit zurück in die Vergangenheit gehen. Schließlich sollen das hier nicht meine Memoiren werden. Noch nicht. Aber ein bisschen „Geschichtsunterricht“ muss doch sein, um annähernd verstehen zu können, dass die Dinge bei mir passiert sind, wie sie passiert sind. Ich glaube ich war immer schon bisexuell. Ich habe das wirklich noch nie jemandem erzählt.

Keiner kennt diese Anekdote, aber als Kind wickelte ich hin und wieder gerne Handtücher oder Decken um die Hüften und trug so Kleider. Ich war in Mädchen verliebt, interessierte mich aber durchaus für die Körper der Jungs. Mit 29 verliebte ich mich schließlich zum ersten Mal in einen Mann, was mich extrem verwirrt hat. Ich war sogar bei einem Psychotherapeuten um mir professionellen Rat zu holen. Dieser erklärte mir folgendes:

Es gibt beim Menschen eine emotionale und eine sexuelle Bindung. Als Heterosexueller und Homosexueller hat man beide Bindungen beim Geschlecht, das man anziehend findet. Bei Bisexuellen kann es durchaus passieren, dass die emotionale Bindung bei dem einem Geschlecht liegt, die sexuelle hingegen beim anderen.

Photo by Brett Sayles on Pexels.com

Das klingt spannend und plausibel, denn bis ich 29 war, konnte ich mir Beziehungen nur mit Frauen vorstellen. Mit Männern hatte ich nur sexuellen Spaß, das war emotional nichts Ernstes für mich. Und dann hat im Sommer 2015 ein Typ den Kopf verdreht. So sehr, dass ich mir auf einmal vorstellen konnte mit ihm eine Beziehung zu führen. Leider hat er meine Liebe nicht erwidert, aber wir sind bis heute noch gut miteinander befreundet, zumal sich unsere Wege immer wieder gekreuzt haben.

Springen wir ein paar Jahre weiter. 2018 lernte ich Thom kennen. Ein Mann, den ich so gar nicht am Schirm hatte und zu einer Zeit, wo ich gar nicht auf der Suche nach einer Beziehung war. Aber es passierte. Ich hatte mich in diesen Thom verliebt und konnte nicht genug von ihm kriegen. Bis Juni 2019 führten wir eine quasi Fernbeziehung – mit ihm in Wien und ich in Linz. Ich zog im Sommer 2019 zurück nach Wien und im November zogen wir zwei auch schon in unsere gemeinsame Wohnung in Wien Hietzing. So, und jetzt kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Blogs.

Die emotionale Bindung und die sexuelle Bindung endlich vereint

Mein Outing verlief etappenweise. Bis zu dem oben genannten Zeitpunkt war es vor Freund:innen und Kolleg:innen kein Problem mich zu outen. Entweder wussten sie schon, dass ich bisexuell bin oder sie hatten es geahnt oder es war einfach kein Thema. Das eigentliche Problem war es meiner chinesischen Familie zu sagen, dass ich mit einem Mann eine Beziehung führe und mit ihm zusammen lebe.
Bedenkt, im April 2019 waren Thom und ich mittlerweile 1.5 Jahre ein Paar und lebten seit fast einem halben Jahr zusammen und mein Vater wusste noch nichts davon – rein gar nichts! Meine Schwester hatte ich schon sehr früh eingeweiht und auch die meisten meiner Cousins und Cousinen. Meiner Lieblingstante und ihrem Mann erzählte ich in einem Lockdown-Videocall mein „Geheimnis“. Auch wenn sie zur „Oldies“-Generation gehörten, nahmen sie das sehr locker. Klar, sie lebten auch in Toronto und lebten auch so ein progressives, nordamerikanisches Leben. So hatte ich genug mentalen Backup für den „Tag X“.

Das Problem war mein Vater (Jahrgang 1951)! Ihr müsst wissen, mein Dad ist sehr locker, sehr easy going und von Natura aus tiefenentspannt. Ein sehr schlauer und belesener Mann, der sein Leben lang Pflichtbewusstsein und Disziplin *geatmet* hat. Aber wie sollte ich wissen, wie er wirklich auf mein Outing reagieren würde.

Bevor ich weiter erzähle, muss ich euch eine kleine Einführung geben, da ich davon ausgehe, dass die meisten von euch weiß sind und mit asiatischen Kulturen zu wenig zu tun haben um zu wissen, wie es so in einer chinesischen Familie zugeht.

Eine fast perfekte, chinesische Familie

Um Thom auf meine Familie vorzubereiten, habe ich ihm den Film „Crazy Rich Asians“ mit Constance Wu und Henry Golding gezeigt. Nicht, dass wir crazy rich wären, aber vieles in diesem Film zeigt sehr gut, was die Werte einer chinesischen bzw. ostasiatischen Familie sein können.
Europäer oder „Westler“ werden sich nicht viel darunter vorstellen können, aber ich bin in der engeren Familie der Erstgeborene. Das ist in allen patriarchalisch geführten Gesellschaften etwas ganz Wichtiges, womit viel Ansehen und Verantwortung verbunden wird. Und Druck. Als Erstgeborener hat man es in diesem Kulturkreis nicht leicht. Man muss sich um die jüngeren Geschwister kümmern und wenn die Eltern nicht da sind, hat man das sagen. Und wenn etwas schief geht, hat der Erstgeborene den Kopf hinzuhalten. Hinzu kommt, dass ich der erstegeborene *Sohn* bin und der einzige in der ganzen Familie, der den Namen „Liao“ weiterträgt, der die Blutslinie weiterführt.

Thom war mein erster Boyfriend

Ein Coming Out ist so oder so schon schwer, aber wie mach ich meinem chinesischen Vater klar, dass ich einen Mann liebe. „Hey Dad, sorry dich zu enttäuschen, aber ich bin jetzt schwul.“ „Paps, es tut mir leid, ich kann keine Frau heiraten, ich möchte einen Mann heiraten.“ „Es tut mir so leid, Papa, wenn ich jetzt Schande über dich und unsere Familie bringe.“

Wie sage ich das meinem Vater?

Schande ist ein gutes Stichwort. Denn das war meine größte Angst, dass ich Schande über ihn bringe und ihn die anderen Leute in der Asian Community auslachen, den Respekt vor ihm verlieren und ihn dafür ächten, dass ich den Namen unserer Familie in den Dreck ziehe.
Die Fassade und der gute Ruf der Familie und aller ihrer Mitglieder ist das höchste Gut in einer chinesischen Gesellschaft. Egal, was drinnen geschah, nach außen hin musste man sein Gesicht und sein Image wahren. Man musste wohlhabend bzw. reich wirken. Man musste einen guten Job haben. Man musste studiert haben. Man musste eine heile Welt vorspielen. Man musste um alles in der Welt versuchen, seine weiße Weste sauber zu halten.

Um mir Inspiration und Mut zu holen, las ich Ricky Martins Memoiren, das er nach seinem Outing schrieb. Ich sah mir sein Interview mit Oprah an, wo es um sein Coming Out ging. Ich las von anderen bisexuellen Celebrities, wie zB. Duncan James von der Boyband Blue. Und ich stöberte ein bisschen weiter im Internet – daher weiß ich auch, dass es bereits viele Coming Out Stories zB auf Youtube gibt. Da gab es Zwillingsbrüder, die ihrem Vater per Telefon klarmachen mussten, dass beide schwul sind. In der US-Serie „What would you do?“, zeigten Eltern in einem öffentlichen Restaurant ihrem schwulen Kind, dass sie nicht einverstanden sind mit dessen schwulen Lebensstil. Und dann gab es ostasiatische, junge Männern, die sich der Mutter anvertraut haben, dem Vater aber nichts sagen durften, da er den schwulen Sohn verstoßen würde.

v.l.n.r.: mein Vater, ich, meine Schwester

Der Gedanke von meinem Vater verstoßen zu werden, war für mich unvorstellbar schrecklich. Meine Familie steht bei mir an oberster Stelle und seit meine Mutter gestorben ist, sind er, meine Schwester und ich umso mehr zusammengewachsen. Ich konnte nicht verstoßen werden. Ich wusste nicht, dass er mich mit Sicherheit verstoßen würde. Aber ich hatte auch nicht die Garantie, dass er es nicht nicht tun würde. Er war zwar ein fortschrittlicher denkender Mann, aber auch mit sehr traditionsbewussten Werten und Tugenden. Ich war entmutigt und demotiviert. Also wartete ich ab.

Aber irgendwann fliegt jedes Versteckspiel auf

Mach einmal deinem Vater klar, dass du während des ersten Lockdowns nicht zu Hause bist und er dir jetzt kein Essen vorbeibringen kann! Noch einmal, Thom und ich lebten schon ein halbes Jahr zusammen und waren seit 1.5 Jahren ein Paar und mein Dad wusste nichts von alledem! Das war weder Thom gegenüber fair, dass ich ihn verstecken musste, noch war es fair gegenüber meinem Vater, den ich zwar respektierte aber angelogen habe.

Ich bin im April 2020 schließlich an einem Punkt angelangt, wo ich nicht mehr konnte und auch nicht mehr wollte. Ich wollte mich nicht mehr verstecken. Was, wenn mein Vater damit OK ist, dass ich in einer schwulen Beziehung bin? Dann war die ganze Geheimnistuerei umsonst und er verpasst die ganzen schönen Momente mit Thom und mir. Aber was, wenn er sich von mir distanziert und nichts mehr von mir wissen wollte, aus Schande und Enttäuschung.
Ich wollte meinem Vater die Wahl überlassen. Er sollte entscheiden, ob er Teil meines Lebens bleiben möchte, genau wie Thom in mein Leben gehört. Oder war es das und er gibt seinen einzigen Sohn auf, weil bevor er eine „Schwuchtel“ zum Sohn hat, hat er lieber keinen Sohn.

Dieser Tag wird auch für immer in meinem Gedächtnis bleiben. Nach einem Mittagessen bat ich ihn in Anwesenheit meiner Schwester, die mir großen seelischen Beistand gegeben hatte, sich hinzusetzen. Es gab etwas worüber ich reden wollte. Musste.

„Baba – 爸爸, weißt du? Die Wohnung von mir im 12. Bezirk? Ich wohne dort nicht mehr… Die ist untervermietet… Ich wohne jetzt im 13. Bezirk… Seit einem halben Jahr… Mit einem Mann… Dieser Mann… ist mein Freund. Mein Partner… Ich stehe auf Frauen, aber auch auf Männer! Ich bin in einer schwulen Beziehung mit Thom.

Es tut mir so leid, dich zu enttäuschen. Und es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, aber ich will jetzt nicht mehr lügen, ich will mich nicht mehr verstecken. Wir lieben uns doch und seit Mama gestorben ist, haben wir nur mehr uns drei. Das soll sich bitte nicht ändern. Und ich bin ja immer noch derselbe, der einzige Unterschied ist der, dass ich mit einem Mann zusammen bin. Bitte, verstoß mich nicht, ich habe ja kein Verbrechen begangen. Es tut mir so leid! Ich habe im Internet gesehen, wie asiatische Eltern ihre Söhne verstoßen haben. Bitte, verstoß mich nicht.“

Ich bin mir ziemlich sicher, dass das meine Worte waren. Woraufhin mein Vater mit ruhiger und verständnisvoller Stimme gesagt hat:

„Geh, sei nicht dumm. Das ist etwas Normales. Das ist doch kein Grund sich zu verstecken. Das ist hier (in Europa) etwas Normales, etwas Gewöhnliches und auch kein Grund zu weinen. Und diese Eltern sind nicht wie wir. Wir sind anders. Die sind Asiaten. Wir sind Europäer. Die dort drüben denken noch anders als hier. Es ist alles gut. Ich akzeptiere es.“

Nach diesen Worten brach ich natürlich vollkommen in Tränen aus. Diesmal aber aus Erleichterung anstatt aus Angst. Am Schluss umarmten wir uns sogar. Und jeder, der sich mit ostasiatisch-konfuzianistischen Gesellschaften auskennt, weiß, dass Umarmungen da nicht Gang und Gebe sind. Das ist dort nicht so üblich. Solch innigen Körperkontakt haben wir uns über die Jahre erarbeitet – Stück für Stück. Aber speziell *diese* Umarmung bedeutet nach wie vor die Welt für mich.

War die Geheimnistuerei notwendig?

Weihnachten bei uns zu Hause
meine Cousine Ting mit ihrer Mama

Heute zwei Jahre später ist nach wie vor alles in Ordnung. Thom ist ein fester Bestandteil unserer Familie. Mein Dad ist ein großer Fan von ihm und inzwischen hat noch eine Tante Thom kennengelernt. Sie freut sich sehr über unsere Verlobung.

Warum schreibe ich diesen langen Blog Post über mein Coming Out? Warum ausgerechnet jetzt? Und warum hol ich so weit aus? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht hätte mir eine positive Coming Out Story mit einem Happy End von einem asiatischen Mann geholfen. Es gab wirklich keine!

Es hätte mir vielleicht mehr Mut und Zuversicht gegeben, als ich das gesucht und gebraucht hätte. Und wer weiß, vielleicht ermutige ich mit diesem Post den oder die eine:n oder andere:n dazu Mut zu zeigen und zu sich zu stehen und keine Angst zu haben!

v.l.n.r. ich, mein Vater, der sich sichtlich freut, mein Cousin Rhys, seine Frau Caroline, Thom (Café Central, 2020)

Denn am Ende wird doch alles gut.

Ich hatte ein schönes Family Happy End, also können es andere auch haben. Und ein Spruch, den ich mir selber gesagt habe, hat sehr geholfen: „Die Wahrheit ist, ICH muss bis ans Ende MEINER Tage mit Thom Leben und nicht mein Vater.
Trotzdem muss ich zugeben, ich bin unendlich dankbar meinen Vater zu haben! Ein hervorragender Gentleman, der mich mit Weisheit, Sanftmut, Respekt, Verständnis und Sorgfalt durch mein Leben begleitet.

Wir dürfen unsere Eltern nicht unterschätzen. Zeiten ändern sich. Menschen ändern sich. Und Einstellungen ändern sich. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass mein Dad SO verständnisvoll und unterstützend sein würde. Da habe ich ihm Unrecht getan und komplett falsch eingeschätzt.
Und ironischerweise sind eigentlich WIR es, die den Eltern die Chance geben müssen eine Entscheidung zu treffen. Und es wird Entscheidungen geben, die wir nicht gutheißen, das bedeutet aber nicht, dass man versagt hat. Am Ende des Tages müssen wir uns entscheiden, wer oder was uns wichtiger ist bzw. müssen wir uns mit einer Lösung arrangieren, die nicht die beste ist, aber es ist eine Entscheidung, mit der man leben können muss. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, so zwischen den Stühlen zu sitzen ist nicht schön.

Ich habe nie den Pride Month groß gefeiert. Ich war noch nie auf einem Christopher Street Day und war auch noch nie auf einer Pride Demo oder Umzug. Ich habe mich entschieden meinen Support für die Community anders auszudrücken.

am 9.9.2023 wird geheiratet

Aber solange Menschen umgebracht werden, erschossen werden, dafür, dass sie LGBTIQ+ sind oder Menschen wie ich, die Angst davor haben müssen, zu zeigen wer sie wirklich sind, solange wird auch ein Pride Month notwendig sein… um den „anderen“ Menschen klar zu machen, dass wir auch ein Teil dieser Gesellschaft sind. Um das Recht einzufordern, dass wir auch lieben dürfen wie und wen wir lieben möchten. Um als der Mensch akzeptiert zu werden, für den wir uns entschieden haben zu sein. Denn dann erst, sind wir frei und können endlich das tun, wofür wir bestimmt sind und wofür wir leben.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s